Rezensionen · Thriller/Krimis

Rezension „Tod eines Gentleman“ von Christopher Huang ★★★★

20er Jahre / Ein Krimi. der auch Kriegstraumata thematisiert und einem am Ende gerade dadurch im Gedächnis bleibt.

Manche Narben sind unsichtbar

London, 1924. Nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs liegt über den Straßen der Metropole Aufbruchsstimmung. Wissenschaft, Frieden und Wirtschatsaufschwung scheinen wieder möglich zu sein. Doch in den finsteren Gassen Londons regiert nach wie vor das Verbrechen – und der Schrecken der immer noch traumatisierten Soldaten. Als Eric Peterkin, seines Zeichens Gentleman und Kriminallektor, an einem nebligen Morgen die heiligen Hallen des ehrwürdigen Britannia Clubs betritt, ahnt er nicht, dass er bald in einen handfesten Mord aus Fleisch und Blut verwickelt sein wird. Ein Clubmitglied wird erstochen und flüstert Peterkin ein letztes Vermächtnis ins Ohr: „Rächen Sie die Vergangenheit!“ Peterkin macht sich auf in die nebligen Gassen Londons und kommt einem Verbrechen auf die Spur, das von finsteren Opiumhöhlen zu den eleganten Zimmern hoher Politiker führt … (Klappentext)

© Pink Anemone

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„Das Blut war weit aus Bensons Halswunde herausgespritzt, quer über den Mosaik-Sinnspruch auf dem Boden. Es war in den Fugenkitt gesickert, und die Worte ‚decorum est‘ waren nun von Bensons Blut umrahmt. ‚Es ist ehrenhaft!‘
(S. 48)

Man befindet sich in London und schreibt das Jahr 1924. Der Erste Weltkrieg liegt noch nicht allzu lange zurück, doch langsam ist wieder die Hoffnung auf eine schöne Zukunft spürbar und der Alltag findet Einzug.
Auch im ehrwürdigen Gentlemen’s Club namens „Britannia“, dessen Mitglieder nur aus Männern der Upper Class Londons besteht, welche für das Britische Reich auf dem Schlachtfeld gekämpft haben. Dazu zählt auch der 26-jährige Eric Peterkin, dessen Vorfahre sogar Gründungsmitglied dieses Clubs war.
Doch dieser ruhige Cluballtag wird empfindlich gestört, als ein Mord in den ehrwürdigen Hallen geschieht. Ein neues Clubmitglied wird im Tresorraum ermordet aufgefunden. Alles begann mit einer Wette und endete für den armen Tropf mit dem Tod … und Peterkin ist mitten drin, statt nur dabei, denn er zählt zu den Verdächtigen. Doch davon lässt sich der Hobbyermittler nicht aufhalten und stellt selbst Nachforschungen an. Dabei stößt er auf ein Geheimnis aus der Vergangenheit, welches den Club bis in seinen Grundfesten erschüttert.

Verdächtige gibt es von Anfang an zur Genüge. Ist es Wolf, der gegen den Ermordeten große Abneigung hegte und gegen dessen Club-Aufnahme stimmte? Ist es einer der fünf Clubpräsidenten, der das Opfer aus unerfindlichen Gründen unbedingt aufnehmen wollte? Ist es gar der leitende Inspector, welcher sich äußerst verdächtig bei den Ermittlungen verhält? Oder ist der Täter etwa ein völlig anderer, der die Bühne erst später betritt?

© Pink Anemone

„Mayfair war ein wohlhabendes Viertel, und als Eric am frühen Abend eingetroffen war, hatten die imposanten Backsteinfassaden um ihn herum aufgeragt wie die Wände einer Schlucht. Jetzt war nichts mehr davon zu sehen. Die Häuser waren kaum erkennbar, dunkle Konturen jenseits der Nebelschleier, und in der Luft hing der penetrante Geruch nach Schwefel. ‚Erbsensuppen-Nebel‘, sagten die Londoner zu diesem beklemmenden Phänomen, bei dem man kaum noch die Hand vor Augen sah.“
(S. 197)

Die Story braucht etwas bis sie in Fahrt kommt und ich tat mir anfangs schwer in die Geschichte hineinzufinden und am Ball zu bleiben.
Dies lag für mich an der langatmigen Beschreibung von Nebensächlichkeiten und dem Herumspringen zwischen diesen. Doch nach den ersten 100 Seiten steigert sich das Tempo und die Nebensächlichkeiten, welche mir Anfangs um die Ohren geschmissen wurden, sind plötzlich alles andere als nebensächlich.
Wie schon erwähnt gibt es einige Verdächtige. Anfangs scheint sich jeder auf irgendeine Weise verdächtig zu verhalten und jeder scheint bei dem Mord seine Finger im Spiel zu haben.
Gemeinsam mit dem Protagonisten beobachet man, stellt Fragen und geht Hinweisen nach. Man deckt so einige Geheimnisse auf, welche die Vergangenheit betreffen und alle scheinen mit dem Mord in der Gegenwart zu tun zu haben. Dabei steigt das Tempo stetig an und es ist spannend den Entwicklungen zu folgen, denn kaum kann man einen Verdächtigen von der Liste streichen, kommt ein neuer hinzu, um am Ende mit einer überaschenden Wendung aufzuwarten.

© Pink Anemone

„Die Sonne ging nun, da der November vor der Tür stand, merklich früher unter, und in London herrschte die neblige Jahreszeit. Gelblich-graue Schlieren schlängelten sich aus den feuchten Abflussgittern empor, kletterten die eisernen Laternenpfähle hinauf und ließen steif gestärkte Kragen erschlaffen. Im Inneren des Salons vertieften sich die Schatten in den Ecken, und der Lampenschein verwandelte die Sesselgrüppchen in Inseln der Diskretion.“
(S. 20)

Der Schreibstil ist flüssig und klar, die Erzählweise mitreißend (zumindest nach den ersten hundert Seiten) und die Story enthält auch äußerst atmosphärische Settingbeschreibungen, welche einen in die damalige Zeit eintauchen lassen.
Der Autor weiß durchaus Spannung zu erzeugen, auch wenn diese eher ruhig daherkommt, die LeserInnen hinters Licht zu führen und zu überraschen. Kaum zu glauben, dass dies ein Debüt ist.

Doch der Roman kann nicht nur mit der ruhigen Spannung punkten, sondern auch durch den Protagonisten.
Peterkin ist ein Mann von ruhigem Gemüt, durch und durch Gentleman, gesegnet mit einer Beobachtungsgabe à la Sherlock Holmes, Kriminallektor und seine Mutter ist Chinesin. Letzteres führt dazu, dass er mit vielen Vorurteilen und Klischees zu kämpfen hat, denn Asiaten hatten zu dieser Zeit keinen guten Stand in der Londoner Gesellschaft. Auf diese Art wird das Problem des Rassenklischees thematisiert, mit dem der Protagonist zu kämpfen hat, doch es wir noch ein anderes Thema behandelt, welches in historischen Romanen/Krimis oftmals vernachlässigt wird und doch so wichtig ist. Nämlich das Thema Kriegstrauma, damals „Granatenschock“ genannt und heute als posttraumatische Belastungsstörung bekannt.

© Pink Anemone

„Leiche.
Dieses Wort gehörte nach draußen auf die Schlachtfelder von Flandern, nicht ins Innere des von dicken, beruhigenden Mauern umgebenen Britannia Clubs.
Eine Leiche war etwas, das vor dem Schützengraben lag und verweste, halb im Matsch versunkenzu zu nah, um es zu ignorieren, und zu weit entfernt, um es zu bergen.
Eine Leiche war ein schlaffer, im Chlorgas etrunkener Körper, der nicht mehr mit dem Kameraden zu tun hatte, der er noch fünf Minuten zuvor gewesen war. Eine Leiche war nichts, was man in den auf Hochglanz polierten heiligen Hallen des Britannia Clubs fand.“
(S. 54)

Mit dem Protagonisten erlebt man Kriegs-Flashbacks, welchen einen plötzlich in den Schützengraben von Flandern katapultieren – ausgelöst durch eine falsche Berührung oder eine Autofehlzündung. Man kämpft sich mit Peterkin zurück in die Gegenwart, versucht es abzutun, um anschließend darüber zu schweigen.
Diese Art von Trauma war damals schon ein Tabuthema und ist es auch noch heute und hat daher nichts an Aktualität verloren. Zudem macht gerade die Einflechtung dieses Themas die Story und die Figuren authentisch.

„Was sie gerade erzählt hatte, ähnelte auf unangenehme Weise seinen eigenen Bildern im Kopf, die in Stresssituationen ungewollt in ihm aufstiegen. Aber eine Neurose war es deshalb noch lange nicht, redete er sich erneut ein, wenn auch mit weniger Überzeugung als zuvor.“
(S. 273)

Fazit:
Anfangs hatte ich mit diesem Roman wirklich meine Probleme, doch das Durchhalten hat sich für mich gelohnt, denn danach konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
Ich ermittelte und rätselte mit, hatte die ein oder andere Figur im Fokus, um dann doch alles wieder über Bord zu schmeißen und von vorne zu beginnen. Die Themen, welche in die Story eingebettet sind, vor allem das Thema der posttraumatischen Belastungsstörung, konnten mich begeistern und haben mich gleichzeitig zum Nachdenken gebracht. Dieser Kriminalroman enthält somit auch Tiefgang.
Das Ende, bzw. die Auflösung, war für mich durchaus nachvollziehbar und es blieben keinerlei Fragen offen.
Der Schluß lässt zudem auf eine Fortsetzung hoffen und wenn dieser Fall eintreten sollte, bin ich wohl eine, die sich darauf stürzen wird.

© Pink Anemone

© Pink Anemone

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Leseprobe

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Weitere Buchinformationen

Rezensionsexemplar mit großem Dank an Heyne-Verlag und Bloggerportal Random House

 

  • Broschiert: 432 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag; Auflage: Deutsche Erstausgabe (9. Dezember 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • Originaltitel: „A Gentleman’s Murder“
  • ISBN-10: 3453439910
  • ISBN-13: 978-3453439917
  • Preis: 14,99€ (Stand vom 30.04.2020)
  • Auch erhätlich als: E-Book
© Pink Anemone

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Autoren-Info
Bildquelle: Amazon

Christopher Huang wuchs in Singapur auf, von wo er in jungen Jahren nach Kanada zog und Architektur an der McGill University in Montreal studierte. Als großer Verehrer der britischen Kriminalliteratur hat es Huang immer wieder nach England verschlagen. Mit seinem Romandebüt »Tod eines Gentleman« lässt er das Goldene Zeitalter der Spannungsliteratur wieder in neuem Glanz erstrahlen.

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11 Antworten auf „Rezension „Tod eines Gentleman“ von Christopher Huang ★★★★

  1. Viel zu lange nicht mehr mit Kommi bei dir gewesen! Schreck lass nach XD

    Das Cover sprang mir direkt ins Auge und dann muss ich natürlich deine Eindrücke dazu lesen! Die Schriftart darauf ist so feinst 20er *-* und spielt in Londooon ❤
    Bin ja auch kein Fan von Nebensächlichkeiten und langen drumherum Geschreibe, aber die Wendung scheint ja geglückt und macht mich neugierig. Und niemanden vom Verdacht ausschließen können, mag ich sehr, denn gerade im Thriller-Genre finde ich vieles zu früh absehbar, was mir die Lesefreude nimmt oder gar vermiest.
    Vielleicht habe ich nicht genau gelesen, wird die Thematik der posttraumatischen Belastungsstörung den sensibel und gelungen in das Buch eingearbeitet? Denn wenn es nicht gerade vernachlässigt wird, finde ich, wird es oft hingeklatscht – einfach um Beweggründe zu erschaffen, Spannung einzubringen oder anderes und auch mehr nebenher dann, was ich echt bescheiden finde …

    Auf jeden Fall ein Titel für meine Wunschliste – ich tu mich auch nicht schwer, wenn Geschichten zu Beginn etwas brauchen, mir ist das, was danach geschieht und das ende wichtiger.

    Mukkelige Grüße meine Feine :-*

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    1. Hallöchen,
      ach, wir quatschen ja abseits von Blog auch miteinander, also nicht schlimm ^^

      Wenn man eher Bücher liest, in denen es gleich von Beginn rasant zugeht, ist es immer eine kleine Umstellung, wenn es dann etwas gemächlicher anfängt. Mich stören Nebensächlichkeiten und Detailverliebtheit im Grunde ja auch so gar nicht, nur hier wusste ich lange nicht wohin der Autor mit mir hin will. Hat sich aber, wie in der Rezi erwähnt, eh gelegt und danach konnte ich nicht mehr aufhören zu lesen.

      Die PTBS ist hier nicht das Hauptthema, schwingt jedoch permanent mit. Im Grunde ist diese der rote Faden…ab dem ersten Drittel. Ich fand es wurde sehr authentisch in die Story miteingeflochten und auch ebenso authentisch aus der Sicht der betroffenen Person, sprich des Protagonisten, erzählt. Die Unsicherheit sich das einzugstehen, es kleinzureden und doch ständig damit konfrontiert und sei es nur in den Hintergedanken, welche in bestimmten Situationen Überhand nehmen. Immer wieder schweifen die Gedanken zum Kriegsgeschehen zurück, Verlgeiche werden gezogen, etc. Hingeklatscht wurde es, meiner Meinung nach, also keineswegs. Eher leise mit in die Story genommen, aber spürbar durch den Konflikt den der Protagonist im Inneren mit sich austrägt. Ich will ja nicht zu viel verraten, aber es ist auch ein Beweggrund für vieles, was aber durchaus glaubwürdig ist.
      Wie in der Rezension erwähnt sind alle Mitglieder des Gentlemen Clubs Kriegsveteranen und daher hat jeder damit zu kämpfen, nur jeder auf seine Art. Das kommt im Verlauf der Story gut zum Vorschein.
      Ich habe anschließend kritische Rezensionen gelesen und die meisten davon fanden die Story langweilig. Ich schätze das liegt einerseits an den verschiedenen Geschmäckenr und andererseits, weil wir es gewohnt sind mittlerweile durchwegs rasante Thriller/Krimis zu lesen, welche sich hauptsächlich auf den Fall konzentrieren ohne in die Tiefe zu gehen.
      „Tod eines Gentleman“ wird auch als Roman eingestuft, wobei ich finde, dass es eher ein ruhiger tiefgreifender Krimi ist und das ist eben nicht jedermanns Sache.

      Übrigens habe ich heute von Hasirasi erfahren, dass dies der erste Band einer Reihe ist. Tja, wieder ein Reihenbuch. Das hört bei mir wohl nie auf XD

      Liebe Grüße Schnuggschnugg

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  2. ❤ Und Reihe, oh noooo *lach Aber der Titel ist auf der Wunschliste positioniert – eigentlich ist doch eh schon alles egal! Reihen, SuB aka RuB – vielleicht sollte ich das Ganze aufgeben. Ich glaube ein paar Reihen hinter mich lassen wird nichts, ebenso wenig wie all die bereits wartenden Geschichten in absehbarer Zeit lesen – ich bin ein Junkie, Punkt! XD

    "Eher leise mit in die Story genommen" – das klingt gut! Und ja, viele erwarten Action und rasante Szenerien gerade bei einem Thriller und das ist ja genau das, was mich aktuell an ödet!! Ich lese und höre gerne das Genre, eher als Hörbuch da ich bei dem Format nicht so kritisch bin wie beim Print – ich hätte jedoch lieber ruhigere und gut durchgeplottete Thriller, als dieses ganze Überzogene.

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    1. Also ich liebe auch actionlastige und blutige Thriller. Es kommt wirklich rein auf die Geschichte an, bzw. Schreib- und Erzählstil des Autors/der Autorin. Ich bin da flexibel. Was mich eher und noch immer anödet sind diese privatgebeutelten Ermittler, die alle das selbe Problem haben – Alkoholismus und Mimimimi.
      Hörbücher sind irgendwie so gar nicht meins. Ich versinke da zwar völlig in der Geschichte, aber so sehr, sodass ich mir dann keine Notizen mache und schwupp…ist es auch schon wieder vorbei. Klar, man muss ja nicht alles rezensieren, aber wenn es mir gefällt (oder auch, wenn es völliger Bockmist ist) MUSS ich rezensieren. Ein Teufelskreis XD.

      Und jaaaa, wir sind Junkies!!! Absolut!! Ich darf mir jetzt erstmal echt keine Bücher mehr kaufen, denn wenn ich an meinen Umzug denke, wird mir ganz schlecht XD. Außerdem habe ich in meinen Regalen keinen Platz mehr und in meiner derzeitigen Wohnung keinen Platz für weitere Regale. Der Supergau ist eingetreten!!

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      1. Blutig darf es sein, auch brutal, aber diese überzogenen Szenerien oder dieses rasant-actionlastig spricht mich nicht an, hat es aber noch nie. Das war schon immer etwas, das mich in dem Genre gestört hat, wenn es eingearbeitet wurde/wird. Wobei es auch Bücher gibt, da stört es mich null, weil es zur gesamten Handlung passt und nicht so gezwungen wirkt.
        Jap, von den Flaschen und Psychosen die überhaupt nichts mit der Handlung zu tun haben, nerven mich auch uuungemein!

        Ich weiß, du hattest doch auch mal so ein schönes Bild dazu: mit Staubsauger der allein vor sich hin brummt, weil du dem Hörbuch verfällst XD

        Quatsch, du bist nur aus der Übung im Tetris spielen! ist mit Büchern nicht anders, wenn der Platz knapp wird *lach

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  3. *hüst* ich setze dann hier mal meinen kleinen Mini-Kommentar, im Vergleich zu euren Romanen oben, drunter XD

    Mir ist ja die Optik zuerst aufgefallen.
    Dann dein Text, dann die Optik, dann dein „nach 100 Seiten alles super“, dann die Optik und … ja, ich glaub das wandert mal auf die WuLi 😛

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