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Rezension „Die Judenbuche“ von Annette von Droste-Hülshoff ★★★★★

Ein Klassiker der auf einen wahren Kriminalfall beruht

Auf diesen Klassiker bin ich durch das Lesen verschiedener Bücher zu dem Special „Wahre Verbrechen – Ein Blick hinter die Fassade“, aufmerksam geworden und natürlich musste dieser sofort bei mir einziehen.

Dieses Special haben Christin von Life4Books und ich aufgezogen, da wir beide ein leicht makaberes Interesse an Verbrechen, Serienkillern und der Forensik haben. Während Christin sich auf zeitgenössische Kriminalfälle konzentriert, habe ich mich in die Vergangenheit und somit bis ins Mittelalter begeben. Teilt Ihr unser Interesse, dann schaut doch vorbei, indem Ihr auf das Bild unten klickt.

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Wie wird man zum Täter?

Unter einer Buche im Wald wird der jüdische Händler Aaron tot aufgefunden. Verdächtig verhält sich der labile und sozial auffällige Friedrich Mergel …
Die Kriminalgeschichte um den jungen Friedrich, seinen geheimnisvollen Doppelgänger und rätselhafte Verbrechen ist eine der berühmtesten Erzählungen der deutschen Literatur. Mit psychologischem Spürsinn und der Kraft hoher Poesie beleuchtet Annette von Droste-Hülshoff die Abgründe der menschlichen Natur….(Klappentext)

© Pink Anemone

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„Es ist schwer, jene Zeit unparteiisch in’s Auge zu fassen; sie ist seit ihrem Verschwinden entweder hochmütig getadelt oder albern gelobt worden, da den, der sie erlebte, zu viel teure Erinnerungen blednen und der Spätgeborene sie nicht begreift.“
(S. 12)

Die Autorin lässt uns in eine Zeit blicken in der Diebstähle und Schlägereien an der Tagesordnung waren. In eine Zeit in der Gutsbesitzer Recht sprachen, straften und belohnten, jedoch selbst einiges auf dem Kerbholz hatten. Hier wurde oft Gleiches mit Gleichen vergolten und die ländliche Bevölkerung hatte mit Armut zu kämpfen.

In dieser Zeit wuchs Friedrich heran und hatte keine leichte Kindheit. Entbehrungen, einen gewalttätigen Alkoholiker als Vater und nach dessen frühen Tot hatte er mit Spott zu kämpfen. Mit 12 Jahren nahm ihn sein Onkel unter seine Fittiche und aus einem ruhigen und schüchternen Jungen wurde ein selbstbewusster aber auch leichtsinniger und erregbarer junger Mann. Dass sein Onkel schlechten Einfluss auf ihn hatte und ihn in seine kriminellen Machenschaften des Holzdiebstahl im großen Stil hinein zog, wird schnell klar, auch Friedrich selbst. Trotz Gewissensbissen arbeitet er weiter für seinen Onkel, sieht er in ihm doch in gewisser Weise einen Vaterersatz.
Nach einer Hochzeit wird der jüdische Händler Aaron erschlagen unter einer Buche gefunden. Der Verdacht fällt rasch auf Friedrich, ist er mittlerweile als Raufbold bekannt und hatte zuvor eine heftige Auseinandersetzung mit diesem. Als man Friedrich dingfest machen möchte, ist er wie vom Erdboden verschluckt. Der Mord an Aaron bleibt ungeklärt.
Nach 28 Jahren taucht plötzlich ein Mann namens Johannes Niemand im Dorf auf. Er sieht dem Verdächtigen Friedrich zum Verwechseln ähnlich. Klärt sich mit seinem Auftauchen endlich dieses Verbrechen auf?

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„… und als er umschaut, habe er etwas im Gestrüpp blitzen sehen; es war die Gürtelschnalle des Oberförster, den man nun hinter den Ranken liegend fand, grad ausgestreckt, die rechte Hand um den Flintenlauf geklemmt, die andere geballt und die Stirn von einer Axt gespalten.“
(S. 45)

Dies mag für eine Novelle eine lange Einleitung sein, doch es passiert so viel mehr auf diesen wenigen Seiten.

Die Autorin wurde zu dieser Geschichte vom berühmtesten Mordfall Westfalens inspiriert. Bei diesem wurde im Frühjahr 1783 der jüdische Kaufmann Soistmann Berend unter einer Buche ermordet aufgefunden. Der Verdacht fiel sogleich auf den Knecht Winckelhan, von allen „Winkelhannes“ genannt. Dieser hatte zuvor eine Auseinandersetzung mit dem Kaufmann. Ebenso wie der Protagonist Friedrich verschwand Winckelhan nach der Tat spurlos und auch wie in der Novelle kehrte nach über zwei Jahrzehnten ein alter Mann aus der Ferne zurück ins Dorf.
Alle weiteren Erkenntnisse zu diesem Kriminalfall spare ich mir, da ich sonst zu sehr spoilern würde.
Wo in der vorliegenden Novelle die historischen Tatsachen aufhören und das Fiktive der Geschichte beginnt, ist nur schwer zu sagen, da schon damals unklar war, wer der tatsächliche Täter ist, bzw. ob Winckelhan einen Komplizen hatte. Ein benachbarter Bauer hat sich damals nämlich ebenfalls äußerst verdächtig benommen.

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Die Autorin konzentriert sich jedoch nicht nur auf den Kriminalfall. Vielmehr versucht sie hinter die Kulissen zu blicken. So stellt sie die damalige Gesellschaft in Frage und wirft auch gleichzeitig die Frage auf, ob einem die Umstände, wie z.B. Armut, zu kriminellen Handlungen treiben oder ob dies gar mit einer gebeutelten Kindheit zusammen hängt.
Man möchte fast meinen Annette von Droste-Hülshoff war die erste Profilerin, die Erste, die verstehen wollte wie man zum Täter wird. auch die Judenfeindlichkeit und der volkstümliche Aberglaube werden thematisiert.

„Wer zweifelt daran, dass Simon alles tat, seinen Adoptivsohn dieselben Wege zu leiten, die er selber ging? Und in Friedrich lagen Eigenschaften, die dies nur zu sehr erleichterten: Leichtsinn, Erregbarkeit und vor Allem ein grenzenloser Hochmut, der nicht immer den Schein verschmähte, und dann Alles daran setzte, durch Wahrmachung des Usurpierten möglicher Beschämung zu entgehen.“
(S. 48)

Der Schreib- und Erzählstil sind typisch für einen Literaturklassiker Mitte des 19. Jahrhunderts. Ich musste mich erstmals an die langen Schachtelsätze gewöhnen, doch nach nur wenigen Seiten war ich völlig in der Story gefangen.
Die Novelle ist packend und spannend erzählt, lässt Atmosphäre aufkommen, welche einen in die damalige Zeit und somit in das einfache Leben voller Entbehrungen eintauchen lässt. Vieles wird angedeutet und lässt nur erahnen was sich dahinter wirklich verbirgt. Man wird also als Leser dazu angeregt sich selbst ein Bild zu machen, mit dem zu arbeiten was man hat … wie auch die damaligen Ermittler.

Das Buch enthält nach der Novelle „Die Judenbuche“ noch „Geschichte eines Algierer-Sklaven“ von A. Freiherrn Haxthausen, dem Onkel  von Annette von Droste-Hülshoff. Dieser war ein Verwandter des Gerichtsherrn und hat 1818, ergo 25 Jahre nach der Tat, einen umfangreichen Bericht zu dem Kriminalfall verfasst und genau in diesen Bericht erhält man einen Einblick.

Im Anschluß befindet sich dann noch ein Nachwort von Christian Begemann, worin man biographisches von der Autorin erfährt und auf die Entstehung der Novelle eingegangen wird.

Fazit:
Ein kleiner aber feiner Literatuklassiker einer Schriftstellerin, welche versucht hinter die Kulissen eines Kriminalfalls zu blicken und einen in die damalige Zeit der ländlichen Bevölkerung im späten 18. Jahrhundert versetzt. Amtosphärisch, bedrückend, erschütternd, aber auch spannend und interessant.
Ich habe diese Novelle in einem Rutsch gelesen. Viele müssen dieses Büchlein in der Schule lesen und vielen ist dies ein Graus. Doch wenn man weiß was dahinter steckt, dass es sich hier um eine teils fiktive, teils wahre Geschichte eines Kriminalfalls handelt, man sich zuvor mit dem wahren Mordfall beschäftigt, dann liest es sich aus einem völlig anderen Blickwinkel und durchaus fesselnd.

© Pink Anemone

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Leseprobe

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Weitere Buchinformationen

 

  • Taschenbuch: 108 Seiten
  • Verlag: Insel Verlag; Auflage: 3 (17. Februar 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 9783458362418
  • ISBN-13: 978-3458362418
  • Preis: 6,50€ (Stand vom 01.04.2019)
  • Auch erhältlich als: E-Book
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Autoren-Info
Bildquelle: Suhrkamp-Verlag

Annette von Droste-Hülshoff wurde am 10. Januar 1797 auf Schloß Hülshoff bei Münster geboren. Von 1812 bis 1819 wurde sie von Professor Anton Matthias Sprickmann unterrichtet und gefördert. Eine erste größere Reise führte sie 1825 an den Rhein nach Köln, Bonn und Koblenz. In Bonn lernte sie Sibylle Mertens-Schaaffhausen kennen, mit der sie fortan eine enge Freundschaft verband. Zu ihrem Freundeskreis zählten außerdem Johanna und Adele Schopenhauer sowie Goethes Schwiegertochter Ottilie. In Bonn, das sie bis 1842 mehrfach besuchte, begegnete Annette von Droste-Hülshoff außerdem August Wilhelm Schlegel. Sie stand in brieflichem Kontakt mit intellektuellen Zeitgenossen wie den Brüdern Grimm und sah ihre Berufung als Dichterin, worin sie besonders von dem wesentlich jüngeren Levin Schücking unterstützt wurde. Ihre Balladen, wie Der Knabe im Moor, ebenso ihre Novelle Die Judenbuche, machten sie berühmt, auch wenn sie zu Lebzeiten als schreibende Frau keine Anerkennung fand. Ein wichtiges Dokument religiöser Dichtung ist ihr Gedichtzyklus Das geistliche Jahr. Ab 1841 wohnte sie vorwiegend auf Schloss Meersburg am Bodensee, wo sie am 24. Mai 1848 starb. (Quelle: Suhrkamp-Verlag)

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2 Antworten auf „Rezension „Die Judenbuche“ von Annette von Droste-Hülshoff ★★★★★

  1. Oh man!
    Ich habe fast 6 Jahre in Münster studiert und gearbeitet. Alle meinten ich müsste die Judenbuche mal lesen. Wäre der Klassiker hier. Hätte mir mal einer gesagt, dass es auf nem echten Verbrechen beruht, hätte ich wahrscheinlich sofort zu diesem Buch gegriffen 😀
    Das muss ich aber wohl fix nachholen!

    Liebe Grüße

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